Eine Gemeinschaftsaktion der Kulturschaffenden und Veranstalter Bad Segebergs
Koordiniert von Kulturkontor und SZ Segeberger Zeitung.
Drama
Regie: Fernanda Valadez
mit: Mercedes Hernández (Magdalena) · David Illescas (Miguel) · Juan Jesús Varela (Jesús) · Anna Laura Rodríguez (Olivia) · Armando García (Rigo)
Mexiko/Spanien 2020 | 99 Minuten | ab 16
CinePlanet5, Oldesloer Straße 34
Zwei Jugendliche aus Zentralmexiko wollen in die USA emigrieren, um dort ein besseres Leben zu führen. Doch ihre Spur verliert sich in der „Todeszone“ im Norden des Landes, wo marodierende Banden ihr Unwesen treiben. Der Film beschreibt die Suche einer Mutter nach ihrem vermissten Sohn als eine düstere, aber filmisch stimmige Mischung aus Road Movie und Detektivgeschichte und kehrt verbreitete Perspektiven auf die amerikanisch-mexikanische Grenzproblematik konsequent um. Dabei geht es untergründig auch um ein Gemeinwesen, das sich angesichts der omnipräsenten Gewalt wegduckt und lediglich die Konsequenzen des mörderischen Tuns bürokratisch verwaltet.
Mexiko, dieses magisch-mysteriöse, gewaltvolle Land, ist von jeher eine riesige Projektionsfläche kollektiver Träume und Albträume. Irgendwas zwischen unscharfer Aussteigerfantasie und resoluter Anarchie. Man denke nur an James Taylor („Way down here, you need a reason to move“), B. Traven oder Ambrose Bierce. Das Filmbilder-Reservoir stammt von prominenten Regisseuren, etwa John Huston, Orson Welles, Robert Aldrich, Robert Altman, Sam Peckinpah, Steven Soderbergh, Tony Scott, Ridley Scott, Denis Villeneuve oder Stefano Sollima, und ist mitunter spekulativ unterfüttert worden.
Aufgrund der fast schon ins Surreale tendierenden Gewalteskalation konkurrierender Drogenkartelle definieren zumal neuere Filme das Land „south of the border“ als eine Art „failed state“, in dem man sich besser schwer bewaffnet und im Konvoi wie im Irak oder in Afghanistan bewegt. An drastischen Bildern für eine drastische Realität ist kein Mangel. Da ist es interessant, wenn ein Film wie „Was geschah mit Bus 670?“ von Fernanda Valadez den „Sicario“-Ball in die Medien-Öffentlichkeit nördlich des Rio Grande zurückspielt. Gewissermaßen als einen Insider-Blick, aber ohne spektakuläre Actionsequenzen, ohne Star-Power, Hollywood-Dramaturgie oder romantisierendes Sentiment.
Ein paar Hinweise gibt es immerhin
Valadez erzählt eine andere Geschichte, und sie erzählt ihre Geschichte anders. Zwei Jungen brechen im ländlichen Zentralmexiko auf, um sich in Arizona einen Job zu suchen. Danach hört man lange nichts mehr von ihnen, bis die Leiche eines der beiden gefunden wird. Danach reist die Mutter des anderen ebenfalls in den Norden, um ihren vermissten Sohn zu suchen. Ein paar Hinweise gibt es immerhin, wohin sie sich wenden muss.
Doch ihre Tour ist absurd gefährlich und ihre Nachforschungen sind unerwünscht. Die Spur des Sohnes verliert sich bei einem Überfall auf einen Fernbus in der sogenannten Todeszone Mexikos. Hier katalogisieren die Behörden die Dinge, die sie aus den vielen Massengräbern geborgen haben, um anhand der Fundstücke eine Identifizierung der Leichen zu ermöglichen. Es gibt ganze Lagerhallen voller Gegenstände und Kühlräume voller Leichen.
Abgesehen von der bürokratischen Verwaltung der Gewalt herrscht ein großes Schweigen. Man warnt Magdalena, bestimmte Fragen nicht in der Öffentlichkeit zu stellen, weil sie nie wissen können, wer zuhört. Die Gewalt scheint omnipräsent und liegt wie Mehltau über dem sozialen Gefüge. Früh im Film wird gesagt, dass man die beiden Jungen auf dem Weg nach Arizona ja ein Stück hätte begleiten können, um die Gefahr zu reduzieren. Jetzt nach ihrem Verbleiben zu suchen, komme einem Fatalismus gleich, der beklommen macht.
Mischung aus Road Movie und Detektivgeschichte
„Was geschah mit Bus 670?“ ist eine Mischung aus Road Movie und Detektivgeschichte, erzählt aus einer eingeschränkten Perspektive. Die Landschaften sind von unspektakulärer Ödnis; die Informationen schemenhaft und oft nur angedeutet. Der Film hält die Handlung auf Distanz, taucht Nah- und Großaufnahmen in Unschärfen, lässt Figuren unverständliche Dialekte sprechen und tränkt Gewalterfahrungen mit Aberglauben und Ohnmacht, wobei die Logik des Terrors nicht explizit thematisiert wird. Mit Straßensperren schwerbewaffneter Maskierter ist jederzeit zu rechnen.
Der Film zeigt damit eine Gesellschaft im Stadium der Anomie und eine Detektivin mit Informationsdefiziten, die allerdings durchaus erfolgreich ermittelt. Der Bus 670 wurde überfallen. Ein alter Mann hat diesen Überfall schwer verletzt überlebt und hält sich nun in einem abgelegenen Dorf auf. Er kann schildern, was er erlebt hat. Auf ihrem Weg zu ihm begegnet Magdalena dem jungen Miguel, der aus den USA abgeschoben wurde und jetzt auf dem Weg in sein Heimatdorf und zu seiner Mutter ist. Doch auch dieses Dorf ist verlassen, die Mutter verschwunden.
Homo homini lupus
Ganz am Schluss wird Magdalenas Mutterliebe mit einer Handlungsoption konfrontiert, die in dieser Gegend Mexikos vielleicht die Überlebenschancen erhöht, wenn man gewillt ist, sich auf die Spielregeln der Gewalt einzulassen. Mancher mag hier buchstäblich den Satan am Werk sehen, doch „Was geschah mit Bus 670?“ registriert auch dies und gibt sich nicht klüger als seine Figuren. Er stellt keine Zusammenhänge her, was man unbefriedigend finden kann, hält es letztlich aber doch recht nüchtern mit Thomas Hobbes: Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf; es herrscht ein Krieg aller gegen alle. Da braucht es schon lange keine abenteuerlustigen Gringos mehr, die ihr Glück „south of the border“ suchen.
Ulrich Kriest, FILMDIENST