Eine Gemeinschaftsaktion der Kulturschaffenden und Veranstalter Bad Segebergs
Koordiniert von Kulturkontor und SZ Segeberger Zeitung.
Tragikomödie
Regie: Nathan Ambrosioni
mit: Camille Cottin (Antonia 'Toni' Livesi) · Léa Lopez (Mathilde) · Thomas Gioria (Marcus) · Louise Labèque (Camille) · Oscar Pauleau (Timothée)
Frankreich 2023 | 96 Minuten | ab 6
CinePlanet5, Oldesloer Straße 34
Eine ehemals erfolgreiche Sängerin ist als alleinerziehende Mutter von fünf Teenager-Kindern vollbeschäftigt. Doch da die beiden Älteres kurz vor dem Schulabschluss stehen, stellt sie ihr plötzlich die Sinnfrage und sie beschließt gegen äußere Widerstände, ein pädagogisches Studium zu beginnen. Die warmherzig-komödiantische Geschichte über familiäre Turbulenzen, Mutterschaft und späte Emanzipation erzählt in warmen Farben, flüssig und auch etwas gefällig, aber nicht aufdringlich von der Kunst, sich nicht unterkriegen zu lassen. Sorgfältig werden die unterschiedlichen Figuren ausgearbeitet und im Zusammenspiel mit den anderen entfaltet. - Ab 14.
Ihre fünf Kinder kann Toni oft nur im Plural wahrnehmen: als wuselige Menge, die permanent Ansprüche stellt, Chaos stiftet und wild gestikulierend durcheinanderredet. Es kann dabei schon mal vorkommen, dass sie in ihrem Stress ein Kind beim Abholen versehentlich auf dem Parkplatz stehen lässt.
„Aus dir spricht Müdigkeit“, stellt die Betreiberin einer Bar fest, in der die alleinerziehende Mutter ein gelangweiltes Publikum gelegentlich mit Liedern unterhält. Toni ist Sängerin – oder vielmehr der Rest einer Sängerin. Als Siegerin einer Talentshow landete sie mit ihrer ersten Single schon in jungen Jahren einen größeren Hit. Eine überschaubare Karriere folgte, die Einkünfte waren nicht schlecht. Zwanzig Jahre später ist ihr sexuell anspielungsreicher Powersong („Man kann mich nicht zähmen. Ich bin heiß wie Feuer“) noch immer nicht ganz in Vergessenheit geraten. Einmal läuft er im Radio, als die Familie eng zusammengequetscht im Auto sitzt. Die Kinder freuen sich, drehen die Musik lauter, grölen mit, und irgendwann stimmt auch Toni bester Laune in den Gesang mit ein. Mit dem Kommentar des Radiomoderators stürzt die euphorische Stimmung jedoch sinkflugartig ab: „Was die Musik angeht, war das eine schlimme Zeit.“
Mehr geschubst als erstrebt
„So sind wir, so ist das Leben“ von dem französischen Regisseur Nathan Ambrosioni ist eine warmherzige komödiantische Geschichte über familiäre Turbulenzen, Mutterschaft und späte Emanzipation. Denn wie sich bald herausstellt, wurde Toni von ihrer eigenen Mutter eher in die Gesangslaufbahn hineingeschubst, als dass sie sich bewusst dafür entschieden hätte. Nun aber, da zwei der Kinder kurz vor dem Abitur stehen und sie Visionen für ihre Zukunft entwickeln soll, stellt sie sich selbst die Sinnfrage.
Diese Frage oder vielmehr Fragen – wo stehe ich? wie will ich leben? – überhöht (oder trivialisiert) der Film jedoch nie zu der lebensabschnittstypischen Midlife-Crisis oder zur Selbstverwirklichungserzählung. Die Perspektive des Films ist eher bescheiden und bodenständig. Was es bedeutet, ein Familiengefüge aufrechtzuerhalten, wird immer wieder sehr konkret beantwortet: vom Schlichten von Streitigkeiten über das Trösten bei der Tragödie eines missglückten Friseurbesuchs bis hin zu den alltäglichen Mühen reproduktiver Arbeit. Allein die Massen an Lebensmitteln, die für eine sechsköpfige Familie nach Hause geschleppt werden müssen!
Besonders in den fluffigen, oftmals mit Musik untermalten Passagen spürt man die Orientierung am US-amerikanischen Independent-Kino. „So sind wir, so ist das Leben“ ist ein ausgesprochen flüssiger Film in warmen Farben, durchaus etwas gefällig, aber auch darin nicht aufdringlich.
Toni unternimmt dann erste Schritte zur beruflichen Neuorientierung. Doch weder bei Behördenmenschen noch bei der eigenen Familie trifft ihr Entschluss, ein Lehramtstudium zu beginnen, auf große Unterstützung. Mit 42 sei sie ja schon ganz schön alt, heißt es von allen Seiten. Toni wird skeptisch beäugt, belächelt, von der Mutter geringschätzig verlacht; eine Weiterbildungsfinanzierung scheitert an der fehlenden Berufserfahrung. Um das nötige Geld aufzutreiben, beginnt sie zu kellnern und bei Junggesellinnenabschieden aufzutreten. Manchmal scheint sie kurz vor einem Rückzieher zu stehen. Und macht dann doch weiter.
Sich nicht unterkriegen lassen
Ambrosioni, der mit seinen 24 Jahren den Teenager-Kindern nähersteht als der Mutter, gelingt es recht mühelos, Toni bei ihrem Bemühen zu folgen, ihrem Leben eine neue Richtung zu geben und gleichzeitig die Familie als Beziehungsgefüge im Auge zu behalten. Die Kinder sind sowohl geschwisterlicher Pulk als auch singuläre Persönlichkeiten: Marcus, der sich mit einem Video vor seiner Familie als homosexuell outet und enttäuscht ist, weil die erwarteten Reaktionen von Schock oder Umarmung ausbleiben, seine Zwillingsschwester Mathilde, die zum nicht offen geäußerten, aber spürbaren Missfallen der Mutter eine Laufbahn als Tänzerin anstrebt, Camille, die vielleicht am meisten wie Toni tickt, und die beiden Jüngsten, Olivia und das „Problemkind“ Timothée. Bei ihm schlägt Tonis Aufbruch zu einem neuen Lebensabschnitt die höchsten Wogen. Ob sie den mühsamen Weg eines Studiums tatsächlich durchhält, ist eine andere Frage. „So sind wir, so ist das Leben“ endet versöhnlich, verhalten optimistisch, aber ohne triumphierende Geste.
Esther Buss, FILMDIENST